Wer sich mit der Mythologie und
Geschichte des Baumkultes in Europa beschäftigt, wird unweigerlich
auf die geheimnisvolle und sagenhafte Gestalt von Merlin treffen.
Neben der Eiche gibt es drei weitere Baumarten die ihm zugewiesen
werden. Der Weißdorn, die Kiefer und der Apfelbaum.
In dieser Abhandlung interessiert uns
Merlin als „Waldmensch“ der untrennbar mit dem europäischen
Baumkult verbunden ist, denn er scheint Seher und Prophet gewesen zu
sein, der durch die Bäume sprach. Als solcher hatte er an der Seite
von König Artus, dem er zur Einrichtung des Ordens der Tafelrunde
geraten hatte, gegen die barbarischen Eroberer der Bretagne gekämpft.
Wegen des Todes seiner Brüder dem
Wahnsinn verfallen und der Gesellschaft der Menschen überdrüssig,
zog er sich in den Wald von Broceliande zurück, den er nur noch
verließ um düstere Prophezeiungen zu machen über die dem Bösen
verfallene Welt. Diesem Bösen muss Merlin zeitlebens begegnet sein,
den der Mythos berichtet er sei ein Sohn finsterer Mächte und seine
Mutter sei eine Nonne gewesen, der Vater der leibhaftige Teufel. Was
wohl nichts anderes bedeuten kann, als das er zwei Seelen in sich
trug, das gute und das Böse. An jenem Tag als er der Fee Vivianne
begegnete, besiegte er das Böse in sich. Er der mächtigste aller
Zauberer lehrte Vivianne seine ganze Zauberkunst und ließ sich
zuletzt von ihr in einem „Glashaus“ einschließen, nach anderen
Berichten verschwand er in einer Höhle hinter einem Weißdornbusch.
Nach Jean Markale und seinem Buch „Merlin Enchanteur“ soll dieses
„Glashaus“ eine geschlossene Welt in der Mitte des Waldes
darstellen, die in ihren unsichtbaren Mauern eine jenseitige Welt
einschließt wohl das keltische Autre Monde. Also eine Welt in einer
anderen Sphäre, die Ähnlichkeit mit einem Obstgarten hat. Hier
findet die Dyade statt, die heilige Vermählung des göttlichen
Bruders, mit der göttlichen Schwester. Fern unserer Welt leben sie
in vollkommener, harmonischer Liebe, die sie ihrem Wesen nach von der
Gesellschaft trennt. Merlin und Vivianne genügen sich selbst und
benötigen diese Welt nicht mehr, sie leben sozusagen in einer Noos-
Sphäre. Sie stellen ähnlich wie Adam und Eva, die Welt vor dem
Sündenfall dar, also bevor sich der Mensch der äußeren Welt
bewusst war. Nach J. Brosse: „Merlin und Vivianne ziehen sich von
einer profanvisierten, unwiderruflich dem Untergang verfallenen
menschlichen Welt zurück und kehren miteinander zum Ursprung, zum
Naturzustand zurück, in diesen Obstgarten, wo sie als Herren der
Pflanzen und Tiere regieren, schützen, was noch zu retten ist, und,
unsichtbar geworden, die Wiedergeburt des Heiligen vorzunehmen“.
Wir haben es hier mit einer Geschichte
zu tun die weit über die keltische Welt hinausweist und ihre
Ursprünge im prähistorischen hat.
Nach Robert von Ranke – Graves dürfte
jener Obstgarten identisch sein mit der „Insel der Apfelbäume“,
in der „weißen Göttin“, schreibt Graves:“Glastonbury oder
Inus Gutrin, ist auch die Isle of Avalon (Insel der Apfelbäume)“.
Der Bezug Merlins zu den Bäumen, also
zum europäischen Baumkult, seine Rolle als Waldmensch ist tief im
Schamanimus verwurzelt, Brosse schreibt hierzu: „…Die Birke, der
typischste der Schamanistischen Bäume, und die Apfelbäume, mit
deren Zweigen die Feen Sterbliche, in ihr Reich, die jenseitige Welt
locken. Manche texte präzisieren, das Merlin gelegentlich unter
einem Apfelbaum lehrte. Noch wichtiger in seiner Geschichte, ist die
Kiefer, die sich oberhalb des Brunnens von Barenton in der Mitte der
Lichtung des memeton erhebt. Dieser Brunnen ist die Wohnstatt
Viviannes, die also eine Nymphe ist. Vivianne die Verkörperung der
Quelle, hat magische Kräfte. Sie lässt es regnen, mehr noch, wenn
man Wasser auf die Treppe gießt die den Brunnen umgibt, kann man ein
erhebliches Gewitter heraufbeschwören; im übrigen heilt das Wasser
des Brunnens die Tollheit, wie Vivianne Merlin von seinem Wahn
befreit hatte. J.Markale betont das der Brunnen von Barenton niemals
wie die Mehrheit der bretonischen Quellen christianisiert wurde,
sondern durch die Jahrhunderte heidnisch geblieben ist, was die
Bewohner der Gegend allerdings nicht daran hindert, sich in
Dürrejahren dorthin zu begeben, und Geistliche schreiten der
Prozession zügig voran“.
Die Quelle, die Kiefer, die Nymphe
Vivianne, alles spricht hier für das Reich der großen Mutter, der
„weißen Göttin“, wie sie Ranke – Graves für uns erforschte.
Mit den Worten von Heinrich Zimmer: „…Es ist die Stätte des ewig
Weiblichen, Stätte der Zeitlosigkeit und des unerschöpflichen
Lebens, Quelle des Todes, aus dem das leben sich ständig
wiedergebiert. Es ist der geheimnisumwobene Ort, von zahllosen Helden
in Märchen und Legenden der ganzen Welt aufgesucht, unter vielen
historischen Verwandlungen wieder zu erkennen: er gehört zu unserem
universalen Vorrat archetypischer Sinnbilder. Die Fassung, die uns
die keltischen Märchen und der Artuszyklus übermitteln, stammt aus
dem mythischen Bilderschatz der altertümlichen mutterrechtlichen
Ordnung, wie sie der vorkeltischen Kultur des westlichen Frankreichs
und der britischen Insel eigen war. Im Reich der Mütter findet das
schweifende Mannkind heim zum Mutterstamm von der Urmutter her.
Hierher ist er gekommen- zu diesem verborgenen Heiligtum des
Urquells-, um das Rätsel von Leben und Tod zu lösen. Hier wird er
die langersehnte, lang versagte Antwort finden. Durch sein Orakel
wird er vom mütterlich –weiblichen empfangen, von der
unausgesprochenen intuitiven Weisheit der Lebenskraft, in deren
leibhaftiger Gegenwart ihm das Geheimnis ihrer ständig erneuerten
Wiedergeburt von Generation zu Generation gewahr wird“.
Zweifelsfrei spielt Vivianne die Rolle
der „großen Mutter“, sie holte Merlin aus dem Männerbund der
Tafelrunde zurück ins Reich der Mutter- der alten Göttin Gaia. Nach
meiner Ansicht war Merlin nicht der Sohn des Teufels, sondern der
Sohn Pans. In der keltischen Mythologie gibt es gar keinen Teufel.
Pan wurde ja von der Kirche verteufelt. Der Ur- Merlin, der nichts
anderes als ein Schamane sein konnte, war eindeutig ein Initiierter
des Waldes, der Teufel jedoch ist eine Gestalt der christlichen
Zivilisation. Das keltische Gegenstück des Pans war der Gott
Cernunnos. Erst Robert de Boron machte Merlin in seinem Merlinroman
zum Sohn des Teufels. Merlin aber ist durch und durch heidnischer
Natur. Er besitzt magische Macht über die Wesen der Natur, die
Fähigkeit seine gestalt zu vertauschen und kann in die Zukunft
schauen, all diese Dinge sind typisch für einen Schamanen, einen,
Eingeweihten der Wälder. Doch vor allem sein Bezug zu Bäumen
zeichnen ihn als Herr des Waldes aus. So lesen wir bei Brosse: „Die
Kiefer von Barenton hat Merlin nach Art der Schamanen bestiegen; in
ihren Wipfeln, hat er die höchste Erkenntnis erlangt, und hier wohnt
er seit dem, denn das „Glashaus“ ist nichts anderes als die
Spitze des grünen Baumes, wo Merlin schließlich die Gesamtheit all
seiner Kräfte zuteil wurde: die Gabe des Hellsehens, die
Verwandlung, die Unsichtbarkeit, die Allgegenwart der Macht über die
Elemente, die Gabe die Sprache der Tiere (und der Orakelbäume) zu
verstehen und ihnen zu befehlen, die Gabe der Heilkunst und manchmal
der Wiedererweckung vom Tod, die Gabe, Quellen hervorzurufen, Wesen
und Dinge erscheinen zu lassen, die nicht existieren, auf das
Pflanzenreich einzuwirken und sich fliegend durch die Luft zu
bewegen. Dieselben Kräfte schreibt aber die literarische
Überlieferung in Irland und Wales, auch den Druiden zu, und die
sibirischen Schamanen nehmen sie auch für sich in Anspruch“,
Jean Markale beschreibt in seinem Buch
„die Druiden – Gesellschaft und Götter der Kelten“ folgendes.
„So betrachtet, ist der Druide ein „Medizinmann“ in der Art des
Schamanen, in dessen Nähe er vor allem durch seine magischen
Inkanationen rückt, da der Schamane seine ekstatische Reise mit dem
Ziel unternimmt, in den Grenzregionen der Autr Monde die Seelen eines
Kranken, eines Verletzten, eines Sterbenden oder gar Toten
aufzusuchen. Wir werden noch auf andere Analogien zwischen dem
Druidentum und dem Schamanismus stoßen, auch wenn dafür gewisse
Positionen der Schule von George Dumezil aufgegeben werden müssen,
nach der die Wurzeln des Druidentums ausschließlich innerhalb des
indoeuropäischen Bereichs liegen. Man sollte aber keine
Informationsquelle ungenutzt lassen, vor allem weil bekannt ist,
welche Bedeutung der Schamanismus in Zentralasien und Mitteleuropa
gehabt hat- und von dort kamen ja auch die Kelten.“
hukwa
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