Freitag, 19. Juli 2013

Über den Kirchturm hinaus oder die pfälzische Ohnmacht

Ein paar persönliche Gedanken eines Heimatforschers zur pfälzischen Geschichte
von Hans Wagner

Es war kein geringerer als der Altmeister unserer pfälzischen Volkskunde, Kulturhistoriker und Paulskirchenabgeordneter Wilhelm Heinrich von Riehl der einmal schrieb: „Geschichtslosigkeit in der Familie erzeugt Geschichtslosigkeit in Staat und Gesellschaft.“
Wohin ein unkritisches Geschichtsbewusstsein führen kann erleben wir seit vielen Jahren in unserem Land durch den immer wieder aufkeimenden Rechtsextremismus.
L..A.Doll sagte einmal über Heimatforschung: „Um zu wissen, wo man steht und wie man weitergehen soll, muss man sich auch klar darüber sein, woher man gekommen ist, soll menschliches Leben nicht blindes umherirren in der Zeit sein. So ist jede Beschäftigung mit der Heimatgeschichte gut und heilsam, um den eigenen Standort festzustellen und den Weg in die Zukunft festlegen zu können.
Wer sich mit der Geschichte seiner Region beschäftigt bemüht sich nicht nur um historische Erkenntnis sondern er fragt sich oftmals gleichzeitig: Wo liegen meine Wurzeln und die meiner Familie? Jedenfalls ist es in der Regel so. So gehen heimatgeschichtliche Forschungen und Familienforschung oft nebeneinander einher. Wenn wir mit den Forschungen beginnen ist es am Anfang der Ort, das Dorf, die Stadt in der ich wohne, deren Vergangenheit uns interessiert. Doch nach einiger Zeit kommen wir nicht umhin über „den Kirchturm“ hin auszuschauen und uns der Landesgeschichte zuzuwenden, denn nur so vermeiden wir das wir in eine isolierte Heimatgeschichtsforschung fallen. Denn egal wo ich in der Pfalz wohne es gibt so etwas wie ein „pfälzisches Gemeinschaftsbewusstsein“ mit dem sich der Heimatforscher verbunden fühlt.
Dieses Bewusstsein hat nichts mit den üblichen „Weck, Wurscht un Woi“, Schlagwörtern zu tun, dieses Bewusstsein hat seine Wurzeln in der Geschichte unseres Pfälzer Landes. So unter anderem im Hambacher Fest und in der 1849er Revolution. Aber es hat noch tiefere Wurzeln aus denen es entsprungen ist wie Sprache, Dialekt, Brauchtum, kulturelle Gemeinsamkeit u. a. m. Diese Gemeinsamkeiten sind im Bewusstsein der pfälzischen Bevölkerung verankert und geben dem Pfälzer ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Schauen wir tiefer in die Geschichte unserer Pfalz so müssen wir Carl Zuckmayer recht geben, der die Pfalz als die „Kelter Europas“ bezeichnete und sie eine große Völkermühle nannte. Und Riehl schrieb 1857 in seinem Buch „die Pfälzer“: „ziehen wir die Summe unserer pfälzischen Völkertafel, so ist der erste Eindruck ein verwirrendes Gemisch: Kelten, Vangionen, Nemeter, Burgunder, Römer, Juden,- der verwüstend durch streifenden Alanen, Hunnen usw. gar nicht zu gedenken- Alemannen, zweierlei Franken, Slawen, Friesen, moderne Franzosen, Holländer, Zigeuner und so fort“.
Wir können diese Liste bis zum heutigen Tag erweitern, die Migration hat nie aufgehört, unsere Pfalz ist also ein buntes Völkergemisch, alle diese Kulturen haben ihre Spuren hinterlassen, darauf sollten wir Pfälzer auch stolz sein dass wir irgendwie „international“ sind. Für viele war dieses Land nur Durchgangsstation andere wiederum sind geblieben, die Pfälzer haben vieles von diesen Kulturen übernommen, vor allem in der Sprache. Dies sollte man in der Heimatforschung unbedingt berücksichtigen.
Nun, die Weltachs dreht sich gewiss nicht in der Pfalz und wenn uns Paul Münch in seiner „pfälzisch Weltgeschicht“ glaubhaft machen will: „was nit in der Palz baseert, ist Newesach un hat kee Wert“, dann widerspreche ich natürlich aufs heftigste. Solche Sprüche habe ich noch nie gemocht aber sie passen eben bestens in das Klischee von „Weck, Wurscht un Woi“. Es waren eben Menschen wie Paul Münch die dafür sorgten das die geschichtsträchtige Pfälzer Landschaft zum Teil eine „Saumagen Aura“ erhielt.
Nun, eine solche „Pfalzmentalität“ habe ich nie gemocht und mag sie heute noch nicht.
Das Leben eines Volkes im Verlauf seiner sehr bewegten Geschichte und die hat die Pfalz gehabt spiegelt sich natürlich auch nicht in den Überlieferungen und Erzählungen berühmter Adliger wieder sondern vor allem im Leben des einfachen Volkes.
Der Schriftsteller Ludwig Harig spricht über die Pfalz von einer biblischen Landschaft, nun ich möchte ihm nicht widersprechen, die Pfälzische Landschaft ist eine Geschichtslandschaft die besonders stark mit Blut und Tränen getränkt wurde. Für diese Landschaft könnte der Ausspruch von James Joyce stehen: „Die Geschichte ist ein Albtraum aus dem ich zu erwachen versuche.“
Die Pfalz ist geschichtlich ein von Kriegen heimgesuchtes Land. Ein Krieg nach dem anderen durchzog dieses Land das Norbert Schreiber „die Toscana Deutschlands“ nannte.
Vor allem war es der dreißigjährige Krieg der die Pfalz aufs übelste heimsuchte. Es war das „Winterkönigtum“ des Kurpfälzers Friedrich V. Der die Pfalz zum Aufmarschfeld des Dreißigjährigen Krieges machte. Dieser „Lump“ (so nannte ihn mein Geschichtslehrer) hinterließ ein von Kaiserlichen, von Protestanten, von Schweden, Spaniern, Kroaten, Franzosen und Deutschen aus den verschiedenen Regionen ausgebeutetes Land. Dieser Krieg zusammen mit der Pest hat nach dem dreißigjährigen Sterben dafür gesorgt das nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Pfalz lebte. „Fame, bellum, peste“ - Hunger, Krieg und Pest! Diese drei Worte umschreiben das Elend der Pfalz im Dreißigjährigen Krieg, der natürlich auch im ganzen Reich wütete. Nach dem „westfälischen Frieden“ war für die Pfalz der Krieg noch lange nicht zu Ende; die spanische Besetzung von Frankenthal dauerte bis 1652, der französisch – spanische Krieg war erst 1659 zu Ende. Wenn man von der Geschichte der Pfalz spricht kommt man nicht umhin von der „pfälzischen Ohnmacht“ zu sprechen.
Es ging weiter mit Krieg und Besatzung bis zum zweiten Weltkrieg.
Die Identität der Pfalz spiegelt sich für den Heimatforscher eben nicht in „Weck, Wurscht un Woi“ sondern in Fame, belle, peste.
hukwa