Samstag, 12. Januar 2019

Von Lochbäumen, Bannsteinen und Siebengeschworenen und ihren Geheimnissen

 
Foto©UteKW

Ich erinnere mich heute noch gut an einen seltsamen Brauch in meinem Heimatort. Während des Besuchs der Grundschule wanderten wir einmal im Jahr zum „großen Stein“, so nannte man im tieferen Wald einen alten Grenzstein. Einer von uns Buben musste sich dann symbolisch mit dem Bauch auf den Stein legen und der Lehrer schlug dann mit einer Gerte leicht auf unseren Hosenboden. Ich wusste nicht was dieser Brauch bedeutete. Irgendwann fragte ich meinen Großvater, der Feldgeschworener gewesen war, und er erklärte mir diesen uralten Brauch:
Schon immer bestand in bäuerlichen Kulturen die Notwendigkeit, Grenzen zu markieren. Anfangs waren es natürliche Grenzmarken die man nutzte, also Bachläufe, Flussläufe, Gesteinsformationen, einzeln stehende Bäume oder natürliche Felsen. Über die Römer kam dann die Sitte behauene Grenzsteine zu nutzen zu uns. Es dauerte jedoch bis ins Mittelalter um Grenzsteine einzusetzen, davor waren es die sogenannten Lochbäume, die Grenzen markierten. Da nun Steine beständiger sind als Bäume übernahm man also die römische Art der Grenzsteinsetzungen.
Es bestand immer die Gefahr, dass Grenzsteine manipuliert wurden, erzählte mir mein Großvater, daher setzte man Feldgeschworene oder sogenannte „Siebengeschworene“ ein, die für die Richtigkeit der Grenzsteine garantierten. Es kam im Laufe von Jahrhunderten immer wieder einmal vor, dass Grenzsteine heimlich versetzt wurden, um sich Vorteile zu verschaffen. Um solchen Frevel zu erschweren haben sich unsere Vorfahren einiges einfallen lassen. So wurden Sieben Geschworene benötigt, um einen Grenzstein ordnungsgemäß zu platzieren. Wenn das Werk vollbracht war, legte man einen Buben über den Stein und schlug ihm symbolisch ein paar auf den Hintern. Ihm wurde im Beisein anderer die Tatsache des neuen Grenzsteines regelrecht „eingebläut“. Was auch einen einfachen philosophischen Hintergrund hatte und bedeuten sollte: die Wahrheit ist nicht verrückbar!
So in etwa erklärte mir mein alter Großvater das Brauchtum der „Steinstaufe“, wie wir ihn als Kinder nannten. Er erzählte mir aber auch einiges aus dem Leben der Feldgeschworenen und ihren „Siebengeheimnissen“.
Das Setzen der Grenzsteine wurde von sieben Männern ausgeübt. Diese Männer waren vereidigte Personen und wurden Feldgeschworene genannt. Es gibt eine mittelalterliche „Ordnung für Feldschieder“ und diese nennt sieben Voraussetzungen für eine Ernennung. Mein Großvater hat mir diese Voraussetzungen nie genannt doch ich habe durch eigene Nachforschungen in etwa herausbekommen, was diese Ordnung besagte:
Soll jeder sein im Ort geboren und soll sein zehn Jahre Bürger, ehe man ihn zum Feldschieder machet, derweilen sich in dieser Zeit seine ganze Beschaffenheit zeiget und man erkennet, ob er ein rachsüchtiger und unverschämter Erdenwurm ist; nicht Säufer, ein Spieler, ein Streiter, ein Schwärmer ist; ein ruhiger gelassener, bei jedem Streit gesetzter Mann ist; die Grenzen seiner Nachbarn in Dorf und Feld in Ordnung hält!.

Solche Feldgeschworenen wurden auf Lebenszeit gewählt und auch ihr Schwur währte ein Leben lang, er durfte das Siebenergeheimnis nicht weitergeben, nur an seine Nachfolger. Nun hat mir mein Großvater dieses Geheimnis auch nicht weitergegeben, doch durch Recherchen bin ich hinter einige Geheimnisse dieser alten Feldschieder gekommen.

Das Wort „Grenzstein“ ist noch gar nicht so alt. In alten Zeiten sprach man vom Bann oder einer Mark. Die Urform des Wortes „verbannen“ bedeutet nichts anderes als jemanden aus einem gewissen Machtbereich auszuweisen. Selbst das Wort „markieren“ hat seine Urbedeutung in den alten Lochbäumen und Grenzsteinen. Auf jedem Grenzstein befinden sich spezielle Zeichen – Ortszeichen, Wappen, Jahreszahlen, laufende Nummern. Auf der Kopfseite mancher Grenzsteine befindet sich eine gekerbte Rille, die den weiteren und genauen Grenzverlauf angibt, dies ist die sogenannte „Weisung“. Ändert eine Grenze die Richtung, dann setzte man die sogenannten Haupt- oder Ecksteine. Die dazwischen stehenden Steine nennt man „Läufer“. Bei den Römern war es Brauch, beim Setzen eines Grenzsteines die Münze ihres regierenden Kaisers unter den Stein zu legen. Die Feldgeschworenen übernahmen sozusagen diese „römische Methode“ und legten seltsame Steine, Eisenteile etc. unter die Grenzsteine. Dies blieb ein Geheimnis unter den Siebengeschworenen, das nur an ihre Nachfolger weitergegeben wurde. Und so war es nicht verwunderlich, dass ein Feldgeschworener des 20. Jahrhunderts wusste, was unter einem Grenzstein lag der im Jahre 1744 gesetzt wurde. An dieser Stelle erinnere ich mich auch daran, dass mein alter Großvater einmal geheimnisvoll von einem „Siebenbüchlein“ zu mir sprach ohne mir den Sinn dieses Wortes zu erklären.

Grenzen und Eigentum im Pfälzerwald zu kennzeichnen begann wohl mit der Besiedlung des „monte vosagus“ wie ihn die Römer nannten, zur Zeit der Franken.
Nach der Römerzeit war der Pfälzerwald über Jahrhunderte hinweg als königlicher Forst reines Jagdgebiet, das teilweise beweidet wurde. Etwa im 6./7. Jahrhundert begann man damit die alten Haingeraiden auszuscheiden und die fränkischen Gaugrafen belehnten und beschenkten die ersten Klöster im Pfälzerwald mit Land. Gleichzeitig wurden Waldteile ausgewiesen, um die errichteten Burgen belehnen zu können. Als nun auch noch Städte Wald erhielten, war der alte königliche Forst bis auf den kleinen Reichswaldrest um Kaiserslautern aufgeteilt.
Der Pfälzerwald ist durch und durch kulturgeschichtlicher Boden. In Verbindung mit der Stadt Lautern hat diese Landschaft an der Reichsgeschichte als fränkischen Königshof an der westöstlichen Magistrale von Lothringen an den Rhein Anteil genommen, als Rodungsinsel und Verwaltungsmittelpunkt des in der Merowingerzeit geforsteten Wasgau und zweifelsohne kann man die Wälder um Kaiserslautern als das „Sanssouci“ Barbarossas bezeichnen. Wenn auch der Kaiser seine Burg hier vielleicht nie gesehen hat, so gibt es genügend urkundliche Zeugnisse für den Aufenthalt der Mächtigen in Lautern und im umliegenden Forst. Zwischen Mai 1158 und August 1310 liegen 27 urkundlich einwandfrei bezeugte Aufenthalte römischer Könige und deutscher Kaiser in Lautern.
Wenn die Hohenstaufen von der Kaiserpfalz in Lautern zum Trifels und zur nächsten Pfalz, die sich in Hagenau befand, ritten, war ihr Weg immer der gleiche:
Von Lautern über den Hirschsprung nach Johanniskreuz zum Eschkopf, dort bog man zum Taubensuhl ab und ritt hinunter nach Eußerthal, wo sie im Zisterzienser-Hauskloster ihrer Reichsfeste Trifels einkehrten. Barbarossa dürfte auf dieser Reise gewiss auch eine kurze Rast in seinem geliebten Jagdhaus, am Jagdhausweiher in der Nähe des Aschbacherhofes gemacht haben.
Der Pfälzerwald wurde im frühen Mittelalter vorwiegend von Mönchen besiedelt. Nach 1152, dem Jahr seiner Königserhebung, stiftete Friedrich I. in Lautern ein Marienhospital und überantwortete es Prämonstratensern aus dem oberschwäbischen Kloster Rot an der Rot, das der später heilig gesprochene Ordensvater Norbert von Xanten 1126 hier selbst gegründet hatte. Aufzeichnungen übermitteln uns ein Bild von den Nöten der hier in der Wildnis des königlichen Bannforstes abgesetzten Ordensleute. Wie sich die meisten der Mönche in den dunklen Wäldern fühlten vermittelt eine Anfrage des damaligen Lauterer Spitalmagisters bei der hl. Hildegard von Bingen. Er fühle sich den Belastungen seines Dienstes seelisch nicht gewachsen, schrieb er, und spiele mit dem Gedanken zur kontemplativen Lebensform in der ruhigen Klausur seines Heimatklosters zurückzukehren.

Wo so viele Klöster und Burgen standen musste es auch viele Grenzbäume und später eben Grenzsteine geben. Dort wo die natürlichen Gegebenheiten fehlten, um einen Grenzverlauf zu markieren, benutzte man sogenannte Lochbäume. In den alten Grenzbeschreibungen des 16. Jahrhunderts fallen uns in alten Schriftstücken immer wieder solche Lochbäume auf. Das alte Weißtumb von der Frankenweide aus dem Jahre 1533 beschreibt solche Lochbäume:
....von demselben Stein,.....bis zum Krodenborn, da steht ein Lochbaum, von demselben Lochbaum an der alten Straße nach bis in alte Gefälle, da steht ein Lochstein“.

Wir wissen aus der „Beforschung“ von Velmann, dass im Jahre 1600 in Johanniskreuz zwei Steine und dreizehn Lochbäume standen. Auch am bereits erwähnten Jagdhausweiher stand ein solcher Lochbaum. Velmann schreibt: „Vom Jagdhauser Kopf hinab zum 3. Stein in dem Rombacher Thal, ist ein liegender Fels bei der krummen Buche, oberhalb, da des Kaisers Jagdhaus gelegen, über das Thal hinüber und die Halde hinauf zum Dansenberg“.

Die Markierungen an solchen Lochbäumen wurden mit eine besonderen Axt ausgeführt, der sogenannten Waldaxt, einem fast sakralen Werkzeug, über diese Axt mehr in meinen „Aufzeichnungen über die Haingeraiden Forsten in der Südpfalz“.

Die alten Grenzsteine hüten noch manches Geheimnis. Hier möchte ich nur den seltsamen Henkmantels-Loogstein in der Nähe von Johanniskreuz erwähnen.
Zeichen wie die Wolfsangel auf Grenzsteinen sind wohl bestens erforscht, aber im Gesamtgebiet des Pfälzerwaldes warten noch einige dieser Steine, die ihr Geheimnis noch nicht preisgaben.

hukwa

Literatur Hinweise:
Walter Eitelmann – Rittersteine im Pfälzerwald
Walter Frenzel – Grenzsteine im Pfälzerwald
Daniel Häberle – Des Kaisers Jagdhaus beim Jagdhausweiher; Der Pfälzerwald Heft 6/1906
Michael Münch – Pfälzer Heimat; Heft 1, 1995
Ernst Christmann – Pfälzische Siedlungsnamen
Ernst Christmann – Flurnamen zwischen Rhein und Saar
Ludwig Müller – Chronik von Erzhütten/Wiesenthalerhof
Hans Wagner - Die Haingeraiden im Pfälzerwald