Ich
erinnere mich heute noch gut an einen seltsamen Brauch in meinem
Heimatort. Während des Besuchs der Grundschule wanderten wir einmal
im Jahr zum „großen Stein“, so nannte man im tieferen Wald einen
alten Grenzstein. Einer von uns Buben musste sich dann symbolisch mit
dem Bauch auf den Stein legen und der Lehrer schlug dann mit einer
Gerte leicht auf unseren Hosenboden. Ich wusste nicht was dieser
Brauch bedeutete. Irgendwann fragte ich meinen Großvater, der
Feldgeschworener gewesen war, und er erklärte mir diesen uralten
Brauch:
Schon
immer bestand in bäuerlichen Kulturen die Notwendigkeit, Grenzen zu
markieren. Anfangs waren es natürliche Grenzmarken die man nutzte,
also Bachläufe, Flussläufe, Gesteinsformationen, einzeln stehende
Bäume oder natürliche Felsen. Über die Römer kam dann die Sitte
behauene Grenzsteine zu nutzen zu uns. Es dauerte jedoch bis ins
Mittelalter um Grenzsteine einzusetzen, davor waren es die
sogenannten Lochbäume, die Grenzen markierten. Da nun Steine
beständiger sind als Bäume übernahm man also die römische Art der
Grenzsteinsetzungen.
Es
bestand immer die Gefahr, dass Grenzsteine manipuliert wurden,
erzählte mir mein Großvater, daher setzte man Feldgeschworene oder
sogenannte „Siebengeschworene“ ein, die für die Richtigkeit der
Grenzsteine garantierten. Es kam im Laufe von Jahrhunderten immer
wieder einmal vor, dass Grenzsteine heimlich versetzt wurden, um sich
Vorteile zu verschaffen. Um solchen Frevel zu erschweren haben sich
unsere Vorfahren einiges einfallen lassen. So wurden Sieben
Geschworene benötigt,
um einen Grenzstein ordnungsgemäß zu platzieren. Wenn das Werk
vollbracht war, legte man einen Buben über den Stein und schlug ihm
symbolisch ein paar auf den Hintern. Ihm wurde im Beisein anderer die
Tatsache des neuen Grenzsteines regelrecht „eingebläut“.
Was auch einen einfachen philosophischen Hintergrund hatte und
bedeuten sollte: die Wahrheit ist nicht verrückbar!
So
in etwa erklärte mir mein alter Großvater das Brauchtum der
„Steinstaufe“,
wie wir ihn als Kinder nannten. Er erzählte mir aber auch einiges
aus dem Leben der Feldgeschworenen und ihren „Siebengeheimnissen“.
Das
Setzen der Grenzsteine wurde von sieben Männern ausgeübt. Diese
Männer waren vereidigte Personen und wurden Feldgeschworene genannt.
Es gibt eine mittelalterliche „Ordnung für Feldschieder“ und
diese nennt sieben Voraussetzungen für eine Ernennung. Mein
Großvater hat mir diese Voraussetzungen nie genannt doch ich habe
durch eigene Nachforschungen in etwa herausbekommen, was diese
Ordnung besagte:
„Soll
jeder sein im Ort geboren und soll sein zehn Jahre Bürger, ehe man
ihn zum Feldschieder machet, derweilen sich in dieser Zeit seine
ganze Beschaffenheit zeiget und man erkennet, ob er ein rachsüchtiger
und unverschämter Erdenwurm ist; nicht Säufer, ein Spieler, ein
Streiter, ein Schwärmer ist; ein ruhiger gelassener, bei jedem
Streit gesetzter Mann ist; die Grenzen seiner Nachbarn in Dorf und
Feld in Ordnung hält!.
Solche
Feldgeschworenen wurden auf Lebenszeit gewählt und auch ihr Schwur
währte ein Leben lang, er durfte das Siebenergeheimnis
nicht weitergeben, nur an seine Nachfolger. Nun hat mir mein
Großvater dieses Geheimnis auch nicht weitergegeben, doch durch
Recherchen bin ich hinter einige Geheimnisse dieser alten
Feldschieder gekommen.
Das
Wort „Grenzstein“ ist noch gar nicht so alt. In alten Zeiten
sprach man vom Bann oder einer Mark. Die Urform des Wortes
„verbannen“ bedeutet nichts anderes als jemanden aus einem
gewissen Machtbereich auszuweisen. Selbst das Wort „markieren“
hat seine Urbedeutung in den alten Lochbäumen und Grenzsteinen. Auf
jedem Grenzstein befinden sich spezielle Zeichen – Ortszeichen,
Wappen, Jahreszahlen, laufende Nummern. Auf der Kopfseite mancher
Grenzsteine befindet sich eine gekerbte Rille, die den weiteren und
genauen Grenzverlauf angibt, dies ist die sogenannte „Weisung“.
Ändert eine Grenze die Richtung, dann setzte man die sogenannten
Haupt- oder Ecksteine. Die dazwischen stehenden Steine nennt man
„Läufer“. Bei den Römern war es Brauch, beim Setzen eines
Grenzsteines die Münze ihres regierenden Kaisers unter den Stein zu
legen. Die Feldgeschworenen übernahmen sozusagen diese „römische
Methode“ und legten seltsame Steine, Eisenteile etc. unter die
Grenzsteine. Dies blieb ein Geheimnis unter den Siebengeschworenen,
das nur an ihre Nachfolger weitergegeben wurde. Und so war es nicht
verwunderlich, dass ein Feldgeschworener des 20. Jahrhunderts wusste,
was unter einem Grenzstein lag der im Jahre 1744 gesetzt wurde. An
dieser Stelle erinnere ich mich auch daran, dass mein alter Großvater
einmal geheimnisvoll von einem
„Siebenbüchlein“
zu mir sprach ohne mir den Sinn dieses Wortes zu erklären.
Grenzen
und Eigentum im Pfälzerwald zu kennzeichnen begann wohl mit der
Besiedlung des „monte
vosagus“
wie ihn die Römer nannten, zur Zeit der Franken.
Nach der Römerzeit war der Pfälzerwald über
Jahrhunderte hinweg als königlicher Forst reines Jagdgebiet, das
teilweise beweidet wurde. Etwa im 6./7. Jahrhundert begann man damit
die alten Haingeraiden auszuscheiden und die fränkischen Gaugrafen
belehnten und beschenkten die ersten Klöster im Pfälzerwald mit
Land. Gleichzeitig wurden Waldteile ausgewiesen, um die errichteten
Burgen belehnen zu können. Als nun auch noch Städte Wald erhielten,
war der alte königliche Forst bis auf den kleinen Reichswaldrest um
Kaiserslautern aufgeteilt.
Der
Pfälzerwald ist durch und durch kulturgeschichtlicher Boden. In
Verbindung mit der Stadt Lautern hat diese Landschaft an der
Reichsgeschichte als fränkischen Königshof an der westöstlichen
Magistrale von Lothringen an den Rhein Anteil genommen, als
Rodungsinsel und Verwaltungsmittelpunkt des in der Merowingerzeit
geforsteten Wasgau und zweifelsohne kann man die Wälder um
Kaiserslautern als das „Sanssouci“
Barbarossas bezeichnen. Wenn auch der Kaiser seine Burg hier
vielleicht nie gesehen hat, so gibt es genügend urkundliche
Zeugnisse für den Aufenthalt der Mächtigen in Lautern und im
umliegenden Forst. Zwischen Mai 1158 und August 1310 liegen 27
urkundlich einwandfrei bezeugte Aufenthalte römischer Könige und
deutscher Kaiser in Lautern.
Wenn die Hohenstaufen von der Kaiserpfalz in Lautern zum
Trifels und zur nächsten Pfalz, die sich in Hagenau befand, ritten,
war ihr Weg immer der gleiche:
Von Lautern über den Hirschsprung nach Johanniskreuz
zum Eschkopf, dort bog man zum Taubensuhl ab und ritt hinunter nach
Eußerthal, wo sie im Zisterzienser-Hauskloster ihrer Reichsfeste
Trifels einkehrten. Barbarossa dürfte auf dieser Reise gewiss auch
eine kurze Rast in seinem geliebten Jagdhaus, am Jagdhausweiher in
der Nähe des Aschbacherhofes gemacht haben.
Der
Pfälzerwald wurde im frühen Mittelalter vorwiegend von Mönchen
besiedelt. Nach 1152, dem Jahr seiner Königserhebung, stiftete
Friedrich I. in Lautern ein Marienhospital und überantwortete es
Prämonstratensern aus dem oberschwäbischen Kloster Rot an der Rot,
das der später heilig gesprochene Ordensvater Norbert von Xanten
1126 hier selbst gegründet hatte. Aufzeichnungen übermitteln uns
ein Bild von den Nöten der hier in der Wildnis des königlichen
Bannforstes abgesetzten Ordensleute. Wie sich die meisten der Mönche
in den dunklen Wäldern fühlten vermittelt eine Anfrage des
damaligen Lauterer Spitalmagisters bei der hl. Hildegard von Bingen.
Er fühle sich den
Belastungen seines Dienstes seelisch nicht gewachsen, schrieb er, und
spiele mit dem Gedanken zur kontemplativen Lebensform in der ruhigen
Klausur seines Heimatklosters zurückzukehren.
Wo
so viele Klöster und Burgen standen musste es auch viele Grenzbäume
und später eben Grenzsteine geben. Dort wo die natürlichen
Gegebenheiten fehlten, um einen Grenzverlauf zu markieren, benutzte
man sogenannte Lochbäume. In den alten Grenzbeschreibungen des 16.
Jahrhunderts fallen uns in alten Schriftstücken immer wieder solche
Lochbäume auf. Das alte Weißtumb
von der Frankenweide aus dem Jahre 1533 beschreibt solche Lochbäume:
„....von
demselben Stein,.....bis zum Krodenborn, da steht ein Lochbaum, von
demselben Lochbaum an der alten Straße nach bis in alte Gefälle, da
steht ein Lochstein“.
Wir
wissen aus der „Beforschung“ von Velmann, dass im Jahre 1600 in
Johanniskreuz zwei Steine und dreizehn Lochbäume standen. Auch am
bereits erwähnten Jagdhausweiher stand ein solcher Lochbaum. Velmann
schreibt: „Vom
Jagdhauser Kopf hinab zum 3. Stein in dem Rombacher Thal, ist ein
liegender Fels bei der krummen Buche, oberhalb, da des Kaisers
Jagdhaus gelegen, über das Thal hinüber und die Halde hinauf zum
Dansenberg“.
Die
Markierungen an solchen Lochbäumen wurden mit eine besonderen Axt
ausgeführt, der sogenannten Waldaxt,
einem fast sakralen Werkzeug, über diese Axt mehr in meinen
„Aufzeichnungen über die Haingeraiden Forsten in der Südpfalz“.
Die
alten Grenzsteine hüten noch manches Geheimnis. Hier möchte ich nur
den seltsamen Henkmantels-Loogstein
in der Nähe von Johanniskreuz erwähnen.
Zeichen wie die Wolfsangel auf Grenzsteinen sind wohl
bestens erforscht, aber im Gesamtgebiet des Pfälzerwaldes warten
noch einige dieser Steine, die ihr Geheimnis noch nicht preisgaben.
hukwa
Literatur Hinweise:
Walter Eitelmann –
Rittersteine im Pfälzerwald
Walter Frenzel – Grenzsteine
im Pfälzerwald
Daniel Häberle – Des Kaisers
Jagdhaus beim Jagdhausweiher; Der Pfälzerwald Heft 6/1906
Michael Münch – Pfälzer
Heimat; Heft 1, 1995
Ernst Christmann – Pfälzische
Siedlungsnamen
Ernst Christmann – Flurnamen
zwischen Rhein und Saar
Ludwig Müller – Chronik von
Erzhütten/Wiesenthalerhof
Hans Wagner - Die Haingeraiden
im Pfälzerwald