Eine heimatkundliche
Erzählung
Noch in den 1960zigern
Jahren, hieß es wenn wir Kinder am späten Abend nicht schlafen
gehen wollten „euch holt die Nachteule“ oder "wenn ihr jetzt nicht
zu Bett geht, kommt der Sandmann“. Vor beiden Spukgestalten hatten
wir Kinder großen Respekt, wohl auch aus dem Grund, weil es sich
tatsächlich um reale Gestalten handelte.
Die „Nachteule“ wenn
auch ein Waldkauz, hörten wir öfters an den Abenden und den
Sandmann kannten wir recht gut aus den Erzählungen der Urgroßmutter.
Unser Sandmann war also keine Adaption aus den Erzählungen von
E.T.A. Hoffmann, sondern er war eine ganz reale Person die uns von
der Urgroßmutter sehr plastisch aus ihren Erzählungen nahe gebracht
wurde.
Die Urgroßmutter wohnte
gerade mal 50m von meinem Elternhaus entfernt und vor dem Schlafen
gehen ging ich immer noch mal bei ihr vorbei und sie erzählte mir
eine Geschichte.
Diese
„Gutenachtgeschichten“ waren weniger Märchen, sondern meist
irgendwelche Erlebnisse aus ihrem Leben.
Die Authenzität solcher
mündlichen Erzählungen fesselten mich als Kind natürlich weit aus
mehr als irgend ein Märchen dasss mit „es war einma“ begann.
Schon die Erzählsituation
hatte einen ganz anderen Ausgangspunkt als die beim Märchen. Es
waren einfach wirklich, erlebte Geschichten.
Vor allem im Herbst und
Winter achtete ich darauf keinen „Geschichtsabend“ zu versäumen
und war immer rechtzeitig nach dem Abendessen bei der Urgoßmutter in
der Küche. Im Winter war die Stimmung besonders heimelig. Die Küche
war zugleich auch Wohnstube von Urgroßmutter und Urgroßvater, die
beiden zwar über neunzig Jahre alt waren sie körperlich und geistig
noch sehr rege. Überall in der Küche hingen Kräuter und an den
Winterabenden wurde der Raum oft nur vom großen Küchenherd
erleuchtet in dem man einfach die ofentür aufstehen ließ. Als
zusätzliche Beleuchtung stand auf dem Tisch eine Kerze, das Licht
wurde erst recht spät angeschaltet.
Das Ofenfeuer warf
seltsame Schatten an die Wände, im ganzen Raum lag der Geruch von
Kräutern und Holz und die alten Möbel strahlten eine warme
Behaglichkeit aus. In dieser Küche verwandelte sich alles in etwas
Urvertrautes.
Urgroßvater saß im
Korbsessel und trank seine Tasse „Muckefug“, also Malzkaffee,
unter den die Urgroßmutter noch Löwenzahnwurzel gemischt hatte. Ich
saß auf dem Kanapee mir gegenüber saß strickend mit einem
Wollknäuel in der Schürzentasche die Urgroßmutter und erzählte
ihre Geschichten. Der Urgroßvater nickte immer mal wieder so als
wolle er alles auf seine Echtheit bezeugen.
So erzählte sie mir eines
Tages auch die Geschichte vom Sandmann, der früher regelmäßig von
Kaiserslautern her in unsere abgelegene Waldsiedlung kam um „Sand
zu verkaufen“.
Diesen „Silbersand“
benutzte man zum reinigen von Töpfen aber auch zum Scheuern der
Stube. Noch bis ins Jahr 1905 erzählte die Großmutter kam der
Sandmann in unsere Siedlung.
Ein Kinderschreck muss er
auf jeden Fall gewesen sein. Er hatte einen riesigen Bart, trug einen
Schlapphutt, ging an zwei Krücken und anstatt Hosen hatte er einen
Rock an. Es hieß er würde einen Rock tragen weil er Beine und Füße
wie eine Ziege hätte. Zwei Ziegenböcke zogen auch den kleinen
Karren mit dem er den Sand transportierte.
Man nannte ihn „Kellers
– Bock“, weil er mit seinen beiden Ziegen in einem schäbigen
Stall in der einstigen Ziegelei Keller am Nordbahnhof hauste. Da er
auch bei seinen Ziegen schlief roch er immer wie ein „Gäßbock“.
Den Rock trug er weil er
an den Beinen eine Lähmung hatte.
Lange Zeit wohl musste der
Kellerbock seinem Wandergewerbe nachgegangen sein. Als im Jahre 1886
der Lehrer Müller auf seinem Weg von Kaiserslautern nach Erzhütten
überfallen wurde und man ihn in ein Gebüsch schleifte, von wo aus
er um Hilfe rief, war auch der Keller – Bock, hoch auf dem Weg in
die Siedlung. Er hörte die Schreie und schaffte sich mit seinen
Krücken mühselig durchs Gebüsch, als die beiden Räuber ihn sahen,
erschraken sie so, dass sie sofort die Flucht ergriffen, erzählte
die Urgroßmutter, wahrscheinlich dachten sie der „Leibhaftige“
eilte dem Lehrer zu Hilfe.
hukwa