Montag, 29. Januar 2018

Der Sandmann von Alt-Lautre


Eine heimatkundliche Erzählung


Noch in den 1960zigern Jahren, hieß es wenn wir Kinder am späten Abend nicht schlafen gehen wollten „euch holt die Nachteule“ oder "wenn ihr jetzt nicht zu Bett geht, kommt der Sandmann“. Vor beiden Spukgestalten hatten wir Kinder großen Respekt, wohl auch aus dem Grund, weil es sich tatsächlich um reale Gestalten handelte.
Die „Nachteule“ wenn auch ein Waldkauz, hörten wir öfters an den Abenden und den Sandmann kannten wir recht gut aus den Erzählungen der Urgroßmutter. Unser Sandmann war also keine Adaption aus den Erzählungen von E.T.A. Hoffmann, sondern er war eine ganz reale Person die uns von der Urgroßmutter sehr plastisch aus ihren Erzählungen nahe gebracht wurde.
Die Urgroßmutter wohnte gerade mal 50m von meinem Elternhaus entfernt und vor dem Schlafen gehen ging ich immer noch mal bei ihr vorbei und sie erzählte mir eine Geschichte.
Diese „Gutenachtgeschichten“ waren weniger Märchen, sondern meist irgendwelche Erlebnisse aus ihrem Leben.
Die Authenzität solcher mündlichen Erzählungen fesselten mich als Kind natürlich weit aus mehr als irgend ein Märchen dasss mit „es war einma“ begann.
Schon die Erzählsituation hatte einen ganz anderen Ausgangspunkt als die beim Märchen. Es waren einfach wirklich, erlebte Geschichten.
Vor allem im Herbst und Winter achtete ich darauf keinen „Geschichtsabend“ zu versäumen und war immer rechtzeitig nach dem Abendessen bei der Urgoßmutter in der Küche. Im Winter war die Stimmung besonders heimelig. Die Küche war zugleich auch Wohnstube von Urgroßmutter und Urgroßvater, die beiden zwar über neunzig Jahre alt waren sie körperlich und geistig noch sehr rege. Überall in der Küche hingen Kräuter und an den Winterabenden wurde der Raum oft nur vom großen Küchenherd erleuchtet in dem man einfach die ofentür aufstehen ließ. Als zusätzliche Beleuchtung stand auf dem Tisch eine Kerze, das Licht wurde erst recht spät angeschaltet.
Das Ofenfeuer warf seltsame Schatten an die Wände, im ganzen Raum lag der Geruch von Kräutern und Holz und die alten Möbel strahlten eine warme Behaglichkeit aus. In dieser Küche verwandelte sich alles in etwas Urvertrautes.
Urgroßvater saß im Korbsessel und trank seine Tasse „Muckefug“, also Malzkaffee, unter den die Urgroßmutter noch Löwenzahnwurzel gemischt hatte. Ich saß auf dem Kanapee mir gegenüber saß strickend mit einem Wollknäuel in der Schürzentasche die Urgroßmutter und erzählte ihre Geschichten. Der Urgroßvater nickte immer mal wieder so als wolle er alles auf seine Echtheit bezeugen.
So erzählte sie mir eines Tages auch die Geschichte vom Sandmann, der früher regelmäßig von Kaiserslautern her in unsere abgelegene Waldsiedlung kam um „Sand zu verkaufen“.
Diesen „Silbersand“ benutzte man zum reinigen von Töpfen aber auch zum Scheuern der Stube. Noch bis ins Jahr 1905 erzählte die Großmutter kam der Sandmann in unsere Siedlung.
Ein Kinderschreck muss er auf jeden Fall gewesen sein. Er hatte einen riesigen Bart, trug einen Schlapphutt, ging an zwei Krücken und anstatt Hosen hatte er einen Rock an. Es hieß er würde einen Rock tragen weil er Beine und Füße wie eine Ziege hätte. Zwei Ziegenböcke zogen auch den kleinen Karren mit dem er den Sand transportierte.
Man nannte ihn „Kellers – Bock“, weil er mit seinen beiden Ziegen in einem schäbigen Stall in der einstigen Ziegelei Keller am Nordbahnhof hauste. Da er auch bei seinen Ziegen schlief roch er immer wie ein „Gäßbock“.
Den Rock trug er weil er an den Beinen eine Lähmung hatte.
Lange Zeit wohl musste der Kellerbock seinem Wandergewerbe nachgegangen sein. Als im Jahre 1886 der Lehrer Müller auf seinem Weg von Kaiserslautern nach Erzhütten überfallen wurde und man ihn in ein Gebüsch schleifte, von wo aus er um Hilfe rief, war auch der Keller – Bock, hoch auf dem Weg in die Siedlung. Er hörte die Schreie und schaffte sich mit seinen Krücken mühselig durchs Gebüsch, als die beiden Räuber ihn sahen, erschraken sie so, dass sie sofort die Flucht ergriffen, erzählte die Urgroßmutter, wahrscheinlich dachten sie der „Leibhaftige“ eilte dem Lehrer zu Hilfe. 
 
hukwa