von Hans Wagner
„Die Geschichte ist ein Alptraum aus
dem ich zu erwachen versuche“
James Joyce
Die herrschende Geschichtsschreibung
ist die Geschichtsschreibung der Herrschenden.
Hans Wagner
Wenn man die Niederschrift von Samuel
Christoph Wagener liest, wird einem schnell bewusst was Joyce mit
obigen Satz meinte.
Wenn es nach dem Großteil der
Heimatforscher ginge, dann gäbe es außer einigen großen Namen
keine Menschen, sondern lediglich ameisenähnliche Bewegungsteilchen
als eine willenlose, lenkbare Masse, die in die Schlachten geworfen
wird und wie die Schweine im Schlachthaus namenlos und naturwüchsig
verblutet. Die Aufzeichnungen von Wagener zur „Schlacht bei
Morlautern“, zeigen uns das wahre Gesicht dieser mörderischen
Kriege.
Diese Schlachten die zu den
Revolutionskriegen gehörten wurden zu Beginn des ersten
Koalitionskrieges (1792 bis 1797) durch die Kriegserklärung
Frankreichs an Österreich ausgelöst. Da dieser Krieg nicht dem
Heiligen Römischen Reich galt, sondern gegen den „König von
Böhmen und Ungarn“ ausgerufen wurde, glaubte sich damals Kurpfalz
aus dem Konflikt und den Kampfhandlungen heraushalten zu können.
Kurpfalz erklärte strikte Neutralität. Das hinderte natürlich die
französische Revolutionsarmee nicht daran, mehrmals durch die
linksrheinische Kurpfalz zu ziehen.
In meiner Kindheit auf Erzhütten –
Wiesenthalerhof, wo ich aufgewachsen bin, haben wir Kinder beim
spielen im Wald immer wieder Gewehrkugeln aus Blei, Koppelschlösser
und einmal sogar ein verrostetes Steinschlossgewehr mit abgebrochenem
Bajonett gefunden. Als ich älter wurde begann ich mich für die
Schlacht von Morlautern zu interessieren, da sie ja im direkten
Zusammenhang mit meinem Heimatort stand.
Als am 1. Dezember 1793 die Franzosen
sämtliche Stellungen bei Kaiserslautern und Morlautern geräumt
hatten registrierte die Koalitionsarmee nach offizieller Zählung 384
Tote, darunter 19 Offiziere. Die Franzosen sollen über 2300 Mann
verloren haben, etwa 700 seien in Gefangenschaft gegangen.
Was mich interessierte war – wo
befanden sich die Grabstätten der gefallenen Soldaten. Wir wissen
bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr wo diese Soldaten begraben
wurden, doch es gibt in der Literatur ungefähre Angaben wo diese
Soldaten beerdigt wurden.
Man kann davon ausgehen das die meisten
Gefallenen im Bereich des Ruhetals (Morlautern) und am Rand des
Röschwaldes, also nördlich des Morlauterer Schlachtenfeldes
bestattet wurden. Carl Hollensteiner der noch Zeitzeugen befragen
konnte und seine Schlachtbeschreibung 1847 in Kaiserlautern
veröffentlichte gibt an, dass Zeitzeugen das „Büchelloch“
(Buchenloch) links vom Thierhäusschen angaben, wo die gefallenen
regelrecht aufgestapelt wurden. Weiter nennt er den „Hölzengraben“,
der an der Straße nach Winnweiler liegt. Julius Küchler weist uns
darauf hin dass bei der Galgenschanze ein Massengrab freigelegt
worden sei. Bei der evangelischen Kirche in Frankenstein befindet
sich der Grabstein eines Offiziers der bei Morlautern schwer
verwundet wurde und auf dem Rücktransport verstarb.
Besonders bewegt hat mich die „Klage
und Anklage auf dem Schlachtfeld von Morlautern“ des Theologen und
Feldpredigers, Samuel Christoph Wagener. In seiner Schrift über
„die Pfalz am Rhein und deren Nachbarschaft“ schreibt er:
...„der Wahlplatz war, besonders in
den Gegenden bei Morlautern dicke mit Leichen besäet. Mensch und
Pferde lagen in ihrem Blute vertraulich nebeneinander, und oft
umschlang das gewaltsam herausgerissene Gedärme des Rosses seinen
Reiter. Die Gewinnsucht der Marodeure, der Marketender und des
andersweitigen Trosses hatte, wie gewöhnlich, unmittelbar nach
Beendigung der Schlacht alle menschlichen Körper entkleidet und
ihnen selbst das zerrissendste, blutgefärbte Hemd nicht gelassen,
weil zuweilen Geld darin genähet ist. Der niedrigste Mutwille dieser
gefühllosen Unmenschen hatte mit den französischen Amazonen, die
hier an der Seite ihrer Geliebten ausbluteten, den sichtbarsten Unfug
getrieben.
Hier, Ihr Großen der Erde, die ihr
kriege beschließet, als gelte es das Leben einer schädlichen
Insektenart – hier, ihr kleinen Wichte und Sklaven des
blutdürstigsten Eigennutzes, die ihr Kriege wünschet und zum
Ausbruch der selbigen das Eurige beizutragen nur zu gut versteht -
hier solltet Ihr unter Leichen hinwandeln, Euer Werk betrachten und
den gewaltsamen Kriegertod in allen seinen scheußlichen Gestalten
erblicken. Sehet, wie hier ein Kartätschenschuß die Brust des
hingestreckten Kriegers durchwühlte oder ihm Arme und Beine
zerschmetterte! Sehet – wie dort, Einer von denen, die ihr geopfert
habt, selbst ohne Kopf noch um Vergeltung oder gar noch um Rache
rufet! - Hier zwar liegt ein Glücklicher, den eine wohltätige
Musketenkugel in der Gegend des Herzens rasch vom Leben zum Tode
erlöste: aber dort zehn andere, deren Eingeweide sie brennend
durchwühlte und die Ihr so mit dem langsamsten schmerzhaftesten Tode
gemordet habt!-
Hier haben Säbelhiebe ein Gesicht
zerfetzt und einen Kopf gespalten oder vom arme eine Hand getrennt
und einen Bauch aufgerissen, der nun sein Gedärme verschüttet; dort
liegt das Blut welches aus euren Degen und Bajonettstichen dahinfloß
und euch anklagt, in geronnnener Masse neben dem Erblassten. O, es
kann für Euch, die Ihr diese Blutgestalten auf eine oder die andere
Art auf Eurem Gewissen habt, unmöglich einen schauderhafteren und
schreckensvolleren Anblick geben als diesen hier! Und wenn je eine
Zeit kommen sollte, wo ein so tausendfaches Morden nach Würden
vergolten wird, dann wehe Euch, die Ihr sie fürchten müsset! -
Allle umliegenden Bauernschaften wurden
vom Militär herbeigetrieben und angehalten, die steif gefrorenen
Blutgestalten unter die Erde zu bringen und die Lauter von ersoffenen
Franzosen zu reinigen. So groß die Zahl dieser Tastengräber auch
war, so vergingen doch mehrere Tage, bevor sie das ihnen aufgegebene
Geschäft zu vollenden im Stande waren. Zwar waren die Gruben welche
sie allenthalben für die Kriegsopfer bereiteten, sehr geräumig,
aber eine solche Gruft- gewöhnlich zwölf Schritte lang, halb so
breit und ebenso tief,- ist doch immer bald angefüllt, da Mann und
Roß gemeinschaftlich hinein geschleppt wurden. Die Eilfertigkeit
stürzt dann oft zu viele Leichen hinein und schüttet, zum größten
Nachteil für die Bewohner der Nachbarschaft, nur wenig Erde darauf.
Kein Wunder daher, wenn ich hier und da aus der Oberfläche einer
solchen Grabstätte einen Pferdefuß oder eine Menschenhand
hervorragen sah. Aber das Empörendste von allen empörenden
Hergängen dieser Tage bleibt in meinen Augen doch immer der Gedanke,
dass unter diesen Leichen mancher sein mag, denn bei einer bloßen
Verblutung und Ohnmacht einer jener kalten Nächte überfiel, in
welchen beide kriegsführende Teile von dem Schlachtfelde sich etwas
zurückzogen, und wo dann der Wiedererwachende, ohne Labung und
Hilfe, vollends erfrieren musste“.
hukwa