Eine
naturphilosophische Betrachtung
Der
naturkundige Wanderer kennt die Stimmung, wenn im Herbst am Morgen
der Nebel noch Tal und Hügel, Wälder und Fluren wie mit einem
feinen Schleier verhüllt, den die heraufsteigende Sonne allmählich
durchdringt und auflöst. Millionen von Spinnweben funkeln in Gebüsch
und Bäumen und verzaubern die Landschaft. Es ist die Zeit der
gedämpften Farben und des mystischen Lichts.
Die
letzten Zugvögel werden unruhig, weil es bald auf große Reise geht.
Auf den Feldfluren ist nun Ruhe eingekehrt und am Waldrand reifen die
schwarzen Schlehen, warten auf den ersten Frost, der etwas Süße in
sie senkt. Die letzten Früchte des Holunders funkeln in der Sonne
und die überreifen Brombeeren laden zum Verweilen ein. Ein letztes
Mal verwöhnt uns die Natur mit ihrer herbstlichen Fülle. Mensch und
Tier wissen, dass nun bald die dunkle Jahreszeit Einkehr hält und
wollen ein letztes Mal von der Natur verwöhnt werden.
Im
Wald erscheint uns nun die Stille noch intensiver, als wir sie im
Hochsommer empfunden haben. Jene, die Altmutter Natur lieben, zieht
es nun wie unter einem Zwang hinein in die Wälder, ihre Geheimnisse
und Schönheiten aufsuchend. Man fühlt in sich Momente, in denen man
spürt, dass wir mit dieser erhabenen Natur verwandt sind.
Der
Schrei des Habichts in den Lüften, das plötzliche Aufbrechen von
Wild im Gebüsch, das Schimpfen des Eichhörnchens vom Baum herab
oder das einsame Fallen einer Eichel erscheinen uns wie ein Gebet,
das Mutter Natur zu uns spricht. Der ganze Wald spricht zu uns in
seiner großen Stille.
Indem
wir ihm zu hören, schauen wir in uns selbst hinein. Ist uns die
Natur eine Mutter, so ist der Wald uns Vatergestalt, seine Bäume
sind uns Brüder und die verwunschenen Weiher sind uns Schwestern.
Fern
vom Getöse der Menschen erwartet uns im Wald reine Beschaulichkeit.
Kurz
ist der „Goldene Oktober“, der ein einziger Herbststrauß zu sein
scheint. Kommt der Wanderer durch Buchenwald, versinkt er bis zu den
Knöcheln im sanften Laub.
In
einem Laubwald dauert es mitunter bis zu fünf Jahre, bis ein
Buchenblatt als solches nicht mehr zu erkennen ist. Bis dahin geht es
in Teilen durch Dutzende von Mägen der sogenannten Zersetzer. Also
von Tieren, die vom „Abfall“ der Natur leben. Im Laubwald fallen
jährlich pro Hektar vier Tonnen Pflanzenmasse an, die es zu
verwerten gilt. Mutter Natur bewältigt diese Mengen mit einem Heer
von hungrigen Mäulern. Die Erstverwerter der Laubstreu sind
Spring-schwänze, Asseln, Milben, Regenwürmer und Tausendfüssler.
Diese kleinen Bodentiere können jedoch die pflanzlichen Reststoffe
nur durchlöchern. Das weitere Zerkleinern obliegt winzigen
Bodenbewohnern, die insgesamt noch einmal das Hundertfache der
Regenwürmer auf die Waagschale bringen. Diese Mikrowelt ist mit
mehreren Milliarden Tieren pro Quadratmeter so groß, dass sie der
Mensch bisher kaum erfassen und bestimmen kann. Diese Winzlinge
stellen das Bindeglied zwischen der toten Pflanzenmaterie und den
größeren Zersetzern der Streu dar. Einige wenige aus diesem
Mikrokosmos sind in der Lage, die schwer verdaulichen Teile wie
Zellulose und Lignin zu knacken. Sie besitzen hierfür Enzyme, über
die nur wenige Abfallverwerter verfügen. Anschließend machen sich
Mikroorganismen über den Nahrungsbrei her. Sie verdauen ihren
eigenen Kot mit den darauf lebenden Kleinstlebewesen. Die
Energieausbeute erhöht sich damit um mehr als das Doppelte. Entgegen
der Welt der Menschen kann die Natur ihre „Abfallprobleme“
äußerst nachhaltig regeln.
Es
hat etwas Tröstliches an sich, im Herbst durch den bunten Buchenwald
zu wandern. Der Dichter Sepp
Skalitzky
hat es uns vor einem halben Jahrhundert in den schönen Versen
mitzuteilen versucht.
Das
letzte Blatt, ein strahlender Gedanke,
schließt
ihm die Welt der schönen Träume auf,
vertönt
als Scheidegruß des wachen Lebens
im
Abendwind, der Gottes Harfen schlägt.
Ich
bin ein Blatt, nur an dem Weltenbaume,
bin
das Geringste, das der Schöpfer löst
mit
seinem Atem, der das Leben lieh,
als
Brücke in die ewigen Gefilde.
Es
ist so tröstlich wenn die Blätter fallen.
Foto Hans Wagner |
Es
sind nicht nur die Buchen, die im Herbst in purpurner Farbe zu
brennen scheinen. Der wilde Kirschbaum entfaltet um diese Jahreszeit
eine üppige Strahlkraft. Erfreut er im Frühling das Herz des
Wanderers mit seinen schneeweißen Blüten, so wirkt nun das Rot
seines Herbstkleides fast magisch auf uns ein. Aber auch ein
Nadelbaum wirft seinen Zauber über uns: wie brennende Fackeln stehen
die Lärchen am Bergeshang. In den frühen Morgenstunden funkeln
tausende von silberfarbenen Spinnweben in den Büschen. Wie
versponnene Elfenlocken scheinen die Fruchtstände des
Waldweidenröschens ineinander verwoben, wenn man Mitte Oktober durch
die Trippstadter Wälder streift.
Die
unruhig schlanke Birke in ihrem gelbfarbenen Herbstkleid fällt dem
Wanderer besonders auf. In ihrer Nähe befinden sich oft die roten
Fruchtknollen des Fliegenpilzes. Beide, Baum und Pilz, sind durch
Symbiose verbunden.
An
den Abenden ist es nun schon sehr kühl geworden. Ein Blick in den
Herbststernenhimmel zeigt uns, dass der Winter bald seinen Einzug
hält. Tief im Norden werden schon die ersten Vorboten des
Winterhimmels sichtbar, insbesondere in Gestalt des Sternbildes
Stier, das zumindest für Mittel- und Nordeuropa bereits vollständig
aufgegangen ist. Sein Hauptstern heißt Aldebaran, wie ein großes
Juwel funkelt er nun am nächtlichen Sternenhimmel.
Herbstzeit
ist Wanderzeit!
hukwa