Es gibt Historiker die haben zwei
Geschichtsbilder im Kopf. Das eine ist das Reale der Geschichte, wie
wir sie aus Urkunden, archäologischen Funden und aus den
Geschichtsbüchern kennen. Ich nenne es das blutige Bild unserer
geschichtlichen Vergangenheit. Mord, Krieg und Totschlag. Ein Bild
von Schlachten und Kriegen die oft genug in den Büchern noch
heroisch dargestellt werden. Das zweite Bild das ich von der
Geschichte in meinem Geist mit mir trage ist der Mythos. Er ist die
Alternative zu jenem realen Geschichtsbild, das mir oftmals den Weg
aus der Geschichte zeigt und in gewißen Sinne eine Art Hoffnung in
mir aufkeimen lässt.
Auch in der Heimatforschung kommt zu
dem Forschenden der Moment, wo das historisch-wissenschaftliche sich
mit dem Mythos verbindet.
Nach Jahren des Studiums historischer
Bücher, nach Forschungen in Urkunden und vor Ort, beginnt der Mythos
selbst im Heimatforscher zu leben. Man kann den Mythos weder
bestellen noch abbestellen, irgendwann beginnnt er in uns zu leben.
Es ist wohl der Moment, da die Göttin ihre Energie in einem
entfaltet. Gewiß, hat der Forschende durch seine intensive
Beschäftigung mit dem Geist der Vergangenheit das große Geheimnis
des Mythos in seiner Seele erweckt und nun muss er dem Mythos dienen,
wie ein alter keltischer Priester, der er vielleicht in einem
früheren Leben einmal war.
Der Mythos hat nichts mit Esoterik oder
Religion zu tun, er ist ein Fluss der in uns fließt, wir können von
seinen klaren Wassern kosten doch bis zu seinen Quellen werden wir
wohl nie gelangen, denn diese Quelle ist jene unendliche Kraft die
das ganze Universum durchzieht. Der Mythos ist die Verbrüderung mit
der Allseele. So wie sich der Historiker mit dem Stammbaum eines
adligen Geschlechtes beschäftigt, so sucht der Mythologe seine
Wurzeln im Mythos. Die Beschäftigung mit ihm ist Realität und Traum
zur gleichen Zeit. Dieses Gefühl Teil eines großen
Wirklichkeitserlebnisses zu sein hat Jorge Louis Borges in
wunderbaren Worten ausgesprochen:
„Wenn nämlich die Welt der Traum
eines Jemand ist, wenn es Jemanden gibt, der uns in diesem Augenblick
träumt und der die Geschichten der Welten träumt... dann hat die
Vernichtung der Religionen und der Künste, dann hat die Allgemeine
Verbrennung der Bibliotheken nicht viel mehr zu bedeuten als die
Verbrennung der Einrichtungsgegenstände eines Traumes. Der Geist der
sie einmal geträumt hat, wird sie abermals träumen. Und so lange
dieser Geist zu Träumen fortfährt, so lange ist nichts verloren“.
Heidelsburg bei Waldfischbach Fotos© Ute Knieriemen-Wagner |
Der Pfälzerwald in
dem ich lebe ist altes Keltenland. Zahlreiche längst vergessene
Höhenheiligtümer verbirgt dieser dunkle Wald, der einst von den
Vogesen bis in die Eifel reichte. „Wassichin“, nannten die Kelten
dieses große Waldgebiet was soviel bedeutet wie „Auerochsengebirge“,
die Römer nannten es „Vosagus“, nach einem alten Waldgott der
hier hauste. Die realistische Geschichtsforschung hat uns die Kelten
und Römer als Völker dargestellt wie sie auch tatsächlich waren:
Kriegslüsterne Eroberer!
Doch es gibt noch
eine „zweite Geschichte in der Geschichte“, nämlich jene der
Muttergottheiten die in diesen Wäldern an vielen Quellen verehrt
wurden, Plätze die das Volk zum Teil heute noch aufsucht. Und die
Verehrung dieser Matronen das ist der Mythos von dem ich hier
schreibe.
Diese Landschaft
mit seinen dunklen Wäldern, seinen geheimnisvollen Woogen und
Wildbächen, die von der Natur erschaffenen steinernen Gebilde, die
Menhire von denen es hier noch einige gibt und die geheimnisvollen
Felsbilder versteckt im Dickicht der Wälder das ist die Heimat der
großen Göttin und es ist die Heimat des dunklen Waldgottes Vosegus
– im Mythos existieren beide immer noch.
Es sind noch nicht
einmal 2000 Jahre vergangen, seit man der Göttin hier Opfer brachte
und sie an den heiligen Quellen verehrte. Was sind schon 2000 Jahre
im Lauf der Geschichte; es ist noch nicht einmal der halbe
Wimpernschlag des alten Vogesengottes.
Ob wir es wahrhaben
wollen oder nicht, der Mythos hat die Geschichtsschreibung immer
begleitet und immer wieder werden wir ihm begegnen.
Gerade in diesem
Gebiet der Mediomatriker und Treverer, deren Hauptstätte Trier und
Metz waren, pflegte man die alten heiligen Kultplätze. In der Regel
lagen sie in den weiten Wäldern der Mittelgebirge, von den heutigen
Vogesen über den Pfälzerwald in den Hunsrück bis hinein in die
Eifel und Ardennen. Die alten keltischen Naturkulte verbanden sich
mit römischen Steinbauten, Stelen und Steinreliefs aus Buntsandstein,
wie wir sie aus dem Pfälzerwald kennen. Noch heute findet der Kundige
Reste dieser alten Weihedenkmäler von denen der alte Zauber der
Göttin noch auszugehen scheint. So errichteten sie die Treverer für
Diana, die römische Göttin der Jagd und des Wildes, die man mit der
keltischen Arduinna gleichsetzte, der Gottheit des Gebirges der
Ardennen, ähnlich wie eben Vosegus der Waldgott des Pfälzerwaldes
und der Vogesen war.
Ein besonderer Kult
genossen die Matronen (Mütter) die man vorwiegend an
Quellheiligtümern, wie beim Gutenborn im pfälzischen Kindsbach
verehrte. Diese Fruchtbarkeitsgötttinen genossen eine herausragende
Verehrung. Gerade der Kult dieser Quellgottheiten war unter den
romanisierten Germanen und Kelten stark verbreitet und stellte eine
Vermischung aus römischen mit keltischen und germanischen
Traditionen dar.
Auch der Name Pfalz
stammt letztendlich von einer Göttin ab. Die Sprachforschung sagt
uns dass „Pfalz“ aus dem lateinischen Wort „Palatium“
abgeleitet sei. Das „Palatium“ oder die „Pfalz“ steckt auch
in dem Wort Palst oder Haus in dem die Herrscher wohnten, der
Regierungssitz denn das Mittelalter als „Königspfalz“
bezeichnete. Aber auch andere festummauerte Wohnsitze nannte man
damals Pfalz. Vom römischen Altertum haben sich die Abwandlungen des
Wortes „Palatium“ allesamt weit entfernt. „Palatium“ so
nannten die Römer in Rom einen Hügel. Nämlich einen der sieben
Hügeln auf denen Rom erbaut war hieß so. Der älteste Siedlungsteil
der „ewigen Stadt“ stand genau auf diesem Hügel. In vorrömischer
Zeit stand auf diesem Hügel ein Tempel der der altitalischen
Schutzgöttin „Pales“ geweiht war. „Pales“ war ähnlich der
„Diana“ eine Naturgöttin.
In seinen
„heroischen Leidenschaften“ schreibt Gordano Bruno über die
Göttin Diana:
Die
Wahrheit wird gesucht wie ein unzugängliches Ding, wie ein
Gegenstand, der nicht nur unbegreiflich, sondern auch nicht zu
vergegenständlichen ist, denn niemand hält es für möglich, in die
Sonne zu schauen, den allerleuchtenden Apollo, in das durch seine
höchste und vorzüglichste Wesensgestalt absolute Licht;
wohl aber in ihren Schatten, ihre Diana,die Welt, das
Universum,die Natur, die in den Dingen ist, das Licht, das in der
undurchsichtigen Materie ist, jenes nämlich,das in der Finsternis
leuchtet. Von den vielen also,die auf den genannten und auf noch
vielen anderen Wegen in diesem wüsten Walde dahineilen, lassen sich
nur ganz wenige am Quell der Diana nieder.Viele geben sich mit der
Jagd auf wilde und unedle Tiere zufrieden; der größte Teil aber
fängt gar nichts, denn er stellt die Netze nach dem Wind und hat
schließlich nichts als Fliegen in der Hand. Selten gibt es, meine
ich, einen Aktaion, dem vom Schicksal gewährt ist, Diana nackt zu
schauen und dahin zu kommen, dass die schöne Liebesgestalt der Natur
ihn ganz verzaubert, und der dann, durch die beiden Augen, durch die
er den Glanz göttlicher Güte und Schönheit wahrgenommen, in den
Hirsch verwandelt wird und fortan nicht mehr Jäger, sondern gejagtes
Wild ist. Denn das letzte und endgültige Ziel dieser Jagd ist eben
das, jene flüchtige und wilde Beute zu erreichen, durch die der
Erbeuter selbst zur Beute, der Jäger zum gejagten Wild wird. Denn
bei allen anderen Arten der Jagd, die man auf einzelne Dinge richtet,
gelangt der Jäger schließlich dazu, diese anderen Dinge an sich zu
reißen,indem er sie mit dem Munde der eigenen Erkenntnis erfaßt;
bei jener göttlichen und allumfassenden Jagd aber vollzieht sich das
Fangen so,dass auch er notwendigerweise gefangen,aufgesogen und
geeint wird. Dadurch wird er aus einem
gewöhnlichen,durchschnittlichen und dem alltäglichen Volk
angehörenden Menschen zu einem wilden Wesen, wie ein Hirsch oder ein
Bewohner der Wildnis; gleichsam göttlich lebt er in der erhabenheit
des Waldes, in den nicht nur Menschenkunst gestaltezten Gemächern
höhlenreicher Berge, wo er den Ursprung der großen Ströme
bewundert, wo er von den gewöhnlichen Begierden unberührt und rein
dahinlebt, wo die Gottheit freier umgeht...So verschlingen die Hunde,
die Gedanken göttlicher Dinge, diesen Aktaion, töten ihn für das
rohe Volk und die Menge, lösen ihn aus den Verstrickungen der
verwirrten Sinne, befreien ihn aus dem Leibeskerker der Materie, so
dass er nun nach seiner Diana nicht mehr wie durch Ritze und Fenster
zu spähen braucht, sondern die trennende Wände niederwirft und
angesichts der ganzen Weite des Horizonts ganz Auge wird. So schaut
er das ganze wie ein Einziges und sieht nicht mehr durch
Unterscheidung und Zählung, wie sie sich aus der Verschiedenheit der
Sinne ergibt, durch die man wie durch Ritzen nur in verworrener Weise
wahrnehmen kann. Er sieht Amphitrite, denn Urquell aller Zahlen,
aller Arten, aller Begriffe: Sie ist die Monade, die wahre Wesenheit
im Sein aller Dinge; und wenn er sie auch nicht in ihrer Wesenheit
selbst, in absolutem Lichte sieht, so sieht er sie in ihren
Hervorbringungen, welche ihr ähnlich, ihre Abbilder sind. Denn aus
jener Monade, welche die Gottheit ist, geht diese Monade hervor,
welche die Natur, das Universum, die Welt ist...
Es ist nur eine der
vielen Metamorphosen der großen Göttin die Giordano Bruno hier
beschreibt. Wir finden sie versteckt in den Märchen und Sagen, aber
auch als christliche Heilige kennen wir sie. So nahm die alte Göttin
im Laufe der Jahrtausende viele Gesichter und Persönlichkeiten an.
Auf einigen der Steinreliefs auf denen die Göttinnen abgebildet
sind, erkennt man auch Pflanzen und Bäume. Dies führt in die Zeiten
zurück da die Göttin noch kein „Gesicht“ hatte, und die Kelten
sie noch in den heiligen Baumhainen verehrten.
hukwa