Freitag, 1. Juni 2012

An den Ufern der Moosalb


Ich brauche nicht unbedingt das Meer oder die großen Flüsse und Ströme, mir genügen die kleinen Bäche unserer heimischen Wälder und Gebirge. Sie sind nie gleich. Jeder von Ihnen hat seine eigene Wesensart, jeder seine sichtbaren und unsichtbaren Bewohner. Jeder Bach hat, wie der Mensch auch, einen Körper und eine Seele, ja die Bäche haben sogar Geist! Es gibt keine unbelebte Natur.
Ist das Ufer der Körper, so ist das Wasser die Seele und über den Wassern singt der Geist der unruhigen Bäche. Das Wasser ist auch ein grandioser Künstler, es formt die Ufer der Bäche zu lebendigen Kunstwerken.

Entlang der Wasserläufe gibt es viel zu sehen und zu staunen. Das geschmeidige Gefieder des Eisvogels blitzt im Düster des Waldes kurz auf, bevor er sich ins Wasser stürzt. Die Wasseramsel gleitet geschickt über der Strömung. Moose, Flechten, Farne, manchmal eine Orchidee verzaubern das Ufer. Wie Trolle und Kobolde ragen abgestorbene Äste und Baumstümpfe aus dem eiskalten Wasser. Verwitterte alte Kopfweiden nicken mir zu, majestätische alte Eiben und Pappelbäume erzählen ihre eigene Geschichte. In ausgewaschenen Sandsteinhöhlen verstecken sich Molche und Schnecken. Wie von Sinnen tanzen Mücken und Libellen über dem kühlen Nass. Elegant gleitet die Bachforelle gegen die Strömung.

Am liebsten lausche ich den Liedern der Bäche am frühen Morgen oder in der Abenddämmerung. Es scheint mir, als singen die Bäche um diese Zeit besonders lieblich. In einem gemeinsamen Konzert mit der sie umgebenden beseelten Natur. Hier spüre ich es dann sehr stark, in der Natur gibt es nichts erstarrtes, nichts robotisches, nichts uniformiertes, die Natur kennt keine Tristesse. Ist der See und der Weiher das Auge der Altmutter, dann sind die Bäche die Venen und Adern von Mutter Erde.

Meist folge ich den Wassern bis zu ihrer Quelle und ich vergleiche die Bäche mit den Menschen. Menschen haben Gemeinsamkeiten mit Wasserläufen, allerdings sind ihre Quellen meistens verborgen, bei manchen sogar verkarstet. So, wie die Bäche in die großen Flüsse und Ströme münden, wie sie rauschend von ihren starken Geschwistern empfangen werden, so ist auch der Mensch ein Empfangender der göttlichen Intuition, der wir in der freien Natur am nächsten sind. Wie die Wasser der Bäche unermesslich sind, so spüren wir manchmal, wenn wir bei unserm Freund dem Bach verweilen, dass auch in uns etwas unermessliches wohnt. Meistens wollen wir es nicht wahrhaben, doch wer den Wassern lauscht, hört die murmelnde Urmutter!
hukwa